Juni 2020 – Journalist‘s Journey: Medientransparenz + Intransparenz bei Kohl-Akten

Juni 2020 – Journalist‘s Journey: Medientransparenz + Intransparenz bei Kohl-Akten

Journalist‘s Journey: Medientransparenz + Intransparenz bei Kohl-Akten

Unsere Woche der Transparenz in der 20. KalenderWoche führte zu Rückfragen von journalistischer Seite und Interesse, das sich ungefähr so zusammenfassen lässt: Alle finden’s gut, keiner macht mit. Gerne wird auf Platz und Zeit verwiesen, obwohl die Intros zu den Stücken ja nur kurz sein sollten, um in knappen Worten das Making Of eines Beitrags zu schildern.
Die Journalistin Kirstin Müller hat uns darauf aufmerksam gemacht, dass es vielleicht doch ausführlicherer Schilderungen bedarf, um den journalistischen Arbeitsalltag für Laien verständlicher zu machen. Sie hat sich die Mühe gemacht, einmal detailliert gängige Abläufe bei der Produktion von Medieninhalten zu formulieren.
Wir freuen uns über diesen Beitrag zur Woche der Transparenz und geben ihn gerne zur Diskussion in die Runde: Wie kann man journalistische Arbeit und redaktionelle Entscheidungen plastischer machen und Medien vom Ruch einer verschworenen Blackbox befreien!?! Er dient gleichzeitig als Beginn von Posts unter dem Hashtag #JournalistsJourney, der dem Thema „Journalistisches bzw. redaktionelles Arbeiten) gewidmet ist. (IMV)

Die Journalist’s Journey – Von der Idee zum Text (von Kirstin Müller)

Welche Themen ein journalistisches Medium in welcher Art und Weise abbildet hängt von einer Vielzahl komplexer Einflussfaktoren ab, die den journalistischen Arbeitsalltag prägen. Exemplarisch wird im Folgenden der Weg vom ersten (nachrichtlichen) Impuls bis zum fertigen Text am Beispiel einer tagesaktuellen, überregionalen Zeitung (Print und Online) nachempfunden.
Der Tag beginnt mit der Redaktionskonferenz am Morgen, bzw. eigentlich schon früher, denn vor der Arbeit machen sich viele Redakteurinnen schon ein Bild von der Nachrichtenlage des Tages via Radio, Social Media und TV, bzw. Print- und Online-Nachrichten der Konkurrenz.) In der Konferenztreffen sich die Journalistinnen der einzelnen Fachressorts und die tagesverantwortlichen Chefredakteurinnen und planen die konkreten Artikel, die über den Tag, bzw. in der Ausgabe des nächsten Tages erscheinen sollen. Dabei geht es um die Auswahl der Themen, aber auch um ihre Gewichtung zueinander und die Diskussion des spezifischen Zugangs zu einem Thema.
Diese Entscheidungen hängen von vielen Faktoren ab.
Erstens: Welche Zielgruppe will das Medium ansprechen? Platt gesagt: Bei der taz würde der runde Todestag von Che Guevara sicher stärker das Kerninteresse der Leserinnen treffen, als bei der FAZ. Bei diesem Beispiel wäre es also denkbar, dass die taz zu diesem Anlass ein größeres Stück plant, während die FAZ das Thema eher als kurze, primär nachrichtliche Meldung platziert.
Zweitens: Welche Ideen haben Redakteurinnen, welche fachlichen und persönlichen Interessen und Spezialgebiete bringen sie mit? Bleiben wir beim Todestag von Che Guevara. Auch eine FAZ-Redakteurin kann dieses Thema zielgruppengerecht aufbereiten. Es könnte z.B. zum Anlass genommen werden, den Imagewandel politischer Akteure hin zu Popfiguren neu zu beleuchten. Wenn jemand in der Redaktion Erfahrung mit popkulturellen Themen hat, böte sich so ein Zugang z.B. schon aus rein praktischen Gründen an. Als eher konservativ ausgerichtetes Medium könnte die FAZ auch eine kritische Außenperspektive einnehmen und das Verhältnis der politischen Linken zu ihren eigenen Ikonen aufarbeiten. Je nachdem, für wie gesellschaftlich relevant die Redaktion die Frage hält, die sie in ihrer Geschichte bearbeiten will, desto größer und prominenter wird der Platz ausfallen, den sie dieser Geschichte einräumt. Es gilt: Aus jedem Thema lässt sich potentiell etwas machen, was universelle Aussagekraft hat. Letztendlich kommt es auch darauf an, wer auf welchen Zugang kommt und wer sich mit seinem Thema durchsetzten kann.
Drittens ist natürlich die Frage der nachrichtlichen Aktualität entscheidend. Ein Todestag fällt natürlich auf ein ganz bestimmtes Datum. An diesem Tag sollte ein Text dazu im Idealfall erscheinen. Kommt es aber an diesem Tag zu einem unvorhergesehenen Ereignis, dem die Redaktion z.B. internationale Bedeutung beimisst – wie eine Naturkatastrophe, eine weitreichende politische Wende oder ein terroristischer Akt – so wird diesem Ereignis nachrichtlich Vorrang gegeben. Dann muss eventuell schnell gekürzt bzw. umdisponiert werden. Geplante Geschichten, wie die in unserem Beispiel, würden entweder zeitnah an einem anderen Tag publiziert, oder kleiner abgebildet werden, um dem aktuellen Ereignis mehr Raum geben zu können. Denn die Seiten einer gedruckten Zeitung sind natürlich limitiert. Auch Online lässt sich die Anzahl an Geschichten aus technischer Sicht zwar über das festgelegte Layout der Startseite hinaus erweitern. Damit riskiert man aber, die Leser in ihren Nutzungsgewohnheiten zu verwirren und dadurch ihr Interesse zu verlieren. Ein Aufbrechen des Layouts zugunsten einer Nachrichtenlage ist daher keine alltägliche Maßnahme.
Zuletzt müssen die Tagesverantwortlichen im Blick behalten, dass alle Ressorts „gerecht“ abgebildet werden. Bei Printprodukten ist das weniger strittig, da meist alle Seiten außer der Titelseite den Ressorts fest zugeteilt sind. Online dagegen werden die Aufmacherblöcke, d.h. die Geschichten, die ganz oben auf den Online-Plattformen erscheinen, ständig neu gemischt.
In der Redaktionskonferenz werden also die Themen des Tages, die Gewichtung der Themen zueinander und die Perspektive, aus der sie behandelt werden sollen, festgelegt. Danach geht es für die einzelnen Redakteurinnen an die Umsetzung ihrer Texte. Wie Recherche und Schreibprozess genau ablaufen kann je nach Thema (und je nach persönlichem Stil des/der Redakteurin) sehr unterschiedlich sein. Für ein analytisches Langstück zu Che Guevara wird ggf. schon an den Tagen zuvor mit Expertinnen gesprochen. Die wichtigen Lebensdaten und Wendepunkte sind schon ausgewählt, und der Text muss in den kommenden Stunden nur noch abgerundet werden. Vielleicht muss eine Interviewpartnerin sein/ihr Zitat im Text noch absegnen. Für ein nachrichtliches Stück können Redakteurinnen sich dagegen auf Material aus den Nachrichtenagenturen beziehen, deren Dienste tagesaktuelle Medien abonniert haben. Für den runden Todestag einer wichtigen politischen Figur gibt es von den Agenturen für gewöhnlich Überblickstexte, die genau so übernommen werden können. In der Zeitung erscheinen solche Texte dann mit dem Kürzel der betreffenden Agentur (dpa, afp, etc.) statt unter einer Autorenzeile.
Dass Zeitungen selbst die Primärquelle für ein nachrichtliches Ereignis sind, ist eher selten. Viele haben nicht einmal die Mittel Korrespondentenbüros zu unterhalten, und selbst wenn, dann kann man natürlich nicht überall gleichzeitig dort sein, wo „etwas passiert“. Erste Kenntnis von einem Ereignis bekommen die Redaktionen aus verschiedenen Quellen, zum Großteil aber über die Agenturen. Viele staatliche oder öffentliche Institutionen halten regelmäßig Pressekonferenzen ab oder machen Pressemitteilungen. Bei „größeren“ Verbrechen, Unfällen oder Katastrophen informieren Polizei und Bundesbehörden proaktiv, und über die sozialen Medien kann sich die Redaktion selbst aktiv informieren. Außerdem sind viele nachrichtliche Ereignisse wie Wahlen, Sportveranstaltung oder Jubiläen vorherseh-, und damit planbar. Grundsätzlich ist wichtig zu wissen, dass vorformulierte Information Zeit spart und dadurch für Journalistinnen so notwendig wie praktisch ist. Die Gefahr, mit dem entsprechenden Wording ungeprüft auch eine vorstrukturierte Ordnung der Wirklichkeit zu übernehmen, wird immer größer, je weniger Zeit zu einer kritischen Prüfung bleibt.
Komplett originäre Inhalte produzieren tagesaktuelle Zeitungen aber auch. Recherchen, die z.B. Missstände aufdecken, entstehen oft in den Investigativ-Ressorts. Der/die Redakteurin folgt dabei z.B. einem anonymen Hinweis, oder bekommt selbst ganz direkt Kenntnis von einer Spur. Ein jüngeres Beispiel für eine bedeutende Investigativ-Recherche sind die Enthüllungen Edward Snowdens, der u.a. den Journalisten Glenn Greenwald vom britischen Guardian und die Dokumentarfilmregisseurin Laura Poitras kontaktiert hatte und sich dann heimlich mit ihm traf. Nach ihrer Veröffentlichung wurde die Geschichte dann selbst zur „Breaking News“ für andere Publikationen. Ist der Text an sich fertig gestellt, müssen noch einige Schritte durchlaufen werden, bevor er auf den Online-Kanälen bzw. auf der gedruckten Seite erscheinen kann. Die zwei wichtigsten Ausgestaltungen eines Textes sind seine Überschrift (und Unterzeilen) und seine Bebilderung. Sie sind quasi die Erstkontaktpunkte, sie sind die Verkaufsoberfläche. Die Leserinnen bekommen durch Zeile und Bild schnell einen ersten Eindruck davon, was sie von dem Text erwarten können und – das ist natürlich entscheidend – ob er ihre Interessen trifft und sich damit potentiell für sie lohnt.
Eine Bebilderung kann entweder ein einfaches Foto sein oder eine eigens für diesen Text hergestellte illustrierende oder auch konterkarierende Grafik. Für das Aufmacherfoto könnte man in diesem Fall auf Bilddatenbanken zurückgreifen. Viele Medienhäuser haben eigene Archive und Abonnements bei externen Dienstleistern. Die naheliegende Lösung wäre in unserem Beispiel von Che Guevara, ein Bild von ihm selbst. Will der/die Redakteurin der Che-Guevara-Geschichte z.B. in den Fließtext eine illustrierte Timeline einbauen, muss diese im Vorhinein bei den betreffenden Grafikerinnen in Auftrag geben werden.
Nicht immer ist die Bebilderung so harmlos, wie im historischen Beispiel. Denn unsere Vorstellung von der Welt ist stark davon geprägt, welche Bilder wir von ihr zu sehen bekommen. Besonders bei der Darstellung von Gruppen jenseits der gesellschaftlichen Mehrheiten ist das bekanntermaßen problematisch. Die Verschlagwortung der Bilddatenbanken und der Mangel an Auswahl bei manchen Suchbegriffen wirkt sehr einschränkend. Extrem gesprochen: Eine anonyme Menge betender Männer oder verschleierter Frauen stellt „Muslime“ dar, und „Homosexuelle“ sind bunt gekleidete Männer, die Regenbogenfahnen schwenken. Allein schon weil ihnen zeitnah keine Alternativen zugänglich sind, reproduzieren Redakteur*innen mit der Bildauswahl gängige Stereotype.
Die Überschrift wiederum ist eine Kunst für sich. Sie darf nicht zu viel verraten, aber auch nicht zu wenig. Sie muss neugierig machen und darf nichts versprechen, was der Text nicht halten kann. In unserem Bespiel wäre „Heute 50. Todestag von Che Guevara“ zwar korrekt, aber blass und langweilig, „Viva Che – Die Ikone lebt weiter“ zu tendenziös und pathetisch. Eine gute Strategie wäre es z.B., eine Haupterkenntnis des Texts in der Überschrift anzudeuten, indem man ein zentrales Zitat heraushebt, oder eine These aus dem Text zugespritzt paraphrasiert.
Ein letzter Faktor der Themensetzung ist die Erfahrung mit bisherigen Themen. Wird der Che-Guevara-Text z.B. auf den Onlineseiten der FAZ gut angenommen, d.h. häufig angeklickt, könnte das einen weiteren Text mit ähnlicher Schlagrichtung rechtfertigen.
Viel wäre noch zu sagen zur Journalist’s Journey. Wir hoffen dieser Text kann als Einblick dazu dienen, dass der tagesaktuelle Journalismus nicht geradlinig, sondern als dynamischer Prozess funktioniert und auf viele Beteiligte angewiesen ist.

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Als Aufruf zu mehr Transparenz zur Deutlichmachung von Qualität in den Medien kann auch das neue Rezo-Video gewertet werden, das wieder mit gut recherchierten Fakten aufwartet und dabei hilft, die Spreu vom Weizen zu trennen (ohne die sonst üblich gewordenen Polarisierungen zu bedienen – erfrischend und lohnend: https://www.youtube.com/watch?v=hkncijUZGKA Empfehlung!

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