Medien und Völkerrecht + IMV Termine, Newsletter Oktober 2024

Medien und Völkerrecht + IMV Termine, Newsletter Oktober 2024

Liebe Interessierte,

diesmal gibt es einen Newsletter der anderen Art – die Mitschrift der wichtigsten Eckpunkte des Webinar-Vortrags von Andreas Zumacht zum „Völkerrecht“, in dem zunächst die Basics gelegt wurden. Wie sich im dann folgenden Gespräch mit den JournalistInnen aus der Praxis und Mitgliedern unseres Förderkreises zeigte, besteht weiterer Vertiefungsbedarf, um konkrete Streitfragen zu erörtern. So ist für das nächste Jahr ein Follow-Up geplant. Allein die mediale Bewertung der Kriegssituation im Libanon bezeugt den Bedarf.

Völkerrecht für den Journalismus – Ein Webinar mit Andreas Zumach

Am 23.09.2024 fand die IMV-Fortbildung zum Völkerrecht online mit bundesweiten Teilnehmenden statt. Nach einer kurzen Vorstellung des fachkundigen Referenten als Journalisten mit langjähriger UNO-Erfahrung, als Korrespondent und Buchautor von „Die kommenden Kriege“ (KiWi) sowie „Reform oder Blockade: Welche Zukunft hat die UNO?“ (Rotpunktverlag) trug Zumach zunächst zu drei Themenfeldern vor:

  1. Entstehungsgeschichte des Völkerrechts
  2. Verbindliche Vereinbarungen im Kanon des Völkerrechts
  3. Diskussion aktueller Konfliktfälle seit 1990

Neben einigen frühen Vorläufern für die Schaffung verbindlicher Regeln zwischen Staaten, beginnt die Festschreibung mit dem Westfälischen Frieden von 1648. Damit weist Zumach gleichzeitig auf zwei unterschiedliche Problemfelder hin: den Eurozentrismus in der Schaffung welt-öffentlichen Rechts und stellt zweitens fest, dass sich immer am Ende von Kriegen die Einsicht durchsetzte, dass Regeln festgeschrieben werden müssten, um Vergleichbares zu verhindern. Das humanitäre Völkerrecht (ius in bello), wie es heute verfasst ist, entstand wesentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – eng verknüpft mit den Erlebnissen Henry Dunants in Solferino und der Gründung des Roten Kreuzes, was erstmalig (in Europa) die Versorgung aller Soldaten und Kriegsopfer festschrieb unabhängig von deren Herkunft. Diese Grundregeln gingen nach 1945 in die Genfer Konventionen ein. Die Regeln im Krieg sollten vor allem Schutz für Zivilisten bieten und beschränkten die Mittel der Kriegsführung. Die folglich definierten Haager Landkriegsordnungen galten für die staatlich organisierten Teile der Welt, also Nord- und Südamerika sowie Europa.

Nach der Missachtung des humanitären Völkerrechts im Ersten Weltkrieg forderte US-Präsident Woodrow Wilson strengere Regeln für die Zukunft. Die Gründungscharta der Vereinten Nationen enthielt noch keine Ächtung des Krieges als fortgesetztes Mittel der Politik. Der zivilisatorische Einschnitt von Faschismus, dem Zweiten Weltkrieg mit über 60 Mio Toten und dem Menschheitsverbrechen der Shoah führte erst zum zwischenstaatlichen Gewaltverbot in der UNO-Charta von 1945 mit universellem Geltungsanspruch, aber zunächst auf die 51 bereits verfassten Staaten beschränkt. Dieser zweite zivilisatorische Fortschritt wurde begleitet durch die Bildung von Institutionen wie den UNO-Sicherheitsrat sowie den Internationalen UNO-Gerichtshof in Den Haag – letzteres nicht zu verwechseln mit dem viel später gegründeten Internationalen Strafgerichtshof. Die strukturelle Schwäche des UNO-Sicherheitsrats durch seine post-Weltkriegs-Besetzung und das Fehlen einer eigenen Exekutive dürfte hinreichend bekannt sein. Zumach zählt einige Beispiele auf, wo dieser Missstand zum Tragen kam, der schließlich dazu beitrug, dass Kriege nicht verhindert werden konnten.

Und obwohl alle Staaten die allgemeine Erklärung der Menschenrechte ratifiziert haben, wird auch diese immer wieder, ungestraft, verletzt. Die Genozidkonvention von 1948 gilt inzwischen für alle Staaten durch Gewohnheitsrecht und widmet sich dem Schutz von Minderheiten und wurde 1977 durch Zusatzprotokolle erweitert. Hierbei geht es um Regeln für innerstaatliche Konflikte und hierin liegt auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker begründet, das auch außerhalb staatlicher Ordnung Gruppen von Menschen Rechts- und Schutzstatus zugesteht – also Widerstand gegen Unterdrückung legitimiert oder gar ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft bei Gefahr für Minderheiten (Ius ad bellum). Zumach zählt hier Beispiele für das Versagen der Anwendung des Rechts (z.B. Bosnien; Ruanda) auf, wie auch dessen Missbrauch zur Rechtfertigung von Kriegseinsätzen (z.B. Kosovo); aber auch die Schwierigkeit der Abgrenzung, wann die Nichteinmischung in innere Angelegenheit von Staaten nicht gelten soll (vgl. Spanien). Auch und gerade mit Blick auf indigene Völker fehlen bis heute Umsetzungsregeln.

Im letzten Teil des Vortrags geht Zumach unter Verweis auf die KSZE-Schlussakte von 1975 und die heutige OSZE für die zwischenstaatliche Kooperation auf Konfliktfälle seit 1990 ein und einige tatsächliche oder sogenannte „humanitäre Interventionen“. Für die Schwächung der rechtlichen Grundlagen des Völkerrechts und der UNO-Institutionen macht er als Turning Point die Reaktionen auf den Terroranschlag vom 11. September 2001 aus. Der sog. Krieg gegen den Terror habe nachhaltig die wertvollen Errungenschaften internationalen Rechts ausgehebelt und Russland setze das heute fort, indem es in Selbstjustiz die Ukraine angreift, statt den UNO-Sicherheitsrat überhaupt anzurufen oder im Falle der Krim 2014 kein Referendum unter UNO-Aufsicht durchgeführt hätte. Mit dem Anspruch einer „Responsibility to Protect“ lassen sich eben Kriege rechtfertigen, wie etwa den in Libyen 2011 oder aktuell in der Ukraine. Last not least ging Zumach auf den Nahostkonflikt ein und empfiehlt ausdrücklich sich mit dem Übersichtsartikel in Le Monde diplomatique vom September 2024 zum IGH vom 19. Juli 2024 zu beschäftigen. Hier seien nur die vier Hauptpunkte genannt: 1. Die illegale Besatzung ist völkerrechtswidrig, 2. ebenso die illegale Belagerung von Gaza (die durch die Abriegelung einer Besatzung gleichkommt), 3. in einer Besatzungssituation hat die Besatzungsmacht Verpflichtungen gegenüber dem Besetzten, 4. Forderung an die Staatengemeinschaft zur Durchsetzung des Rechts beizutragen – womit wir wieder bei der strukturellen Schwäche der UNO angekommen wären.

Last not least und im Übergang zur Diskussion folgt eine traurige Bilanz des Niedergangs des Völkerrechts, wozu auch die Bundesregierung durch ihre Doppelstandards beitrage. Die folgende Diskussion kreiste weiter um die aufgebrachten Themen und ihre Feinheiten und die Frage des medialen Umgangs damit.

Als besonders großes Manko machte Zumach am Schluss eine juristische Leerstelle aus: die fehlende Definition von Terrorismus. Denn eine ausstehende Terrorismusresolution scheiterte bisher an dieser fehlenden Definition. Hier gibt es Abgrenzungsfragen, die er in drei Gegenüberstellungen auflistet: 1. Was ist ein Terrorist, was ein Freiheitskämpfer?, 2. Ist Gewalt gegen eine illegale Besatzung legitimer Widerstand oder Terror?, 3. Gibt es (nicht) Staatsterrorismus? Das lässt erahnen, mit welcher Willkür hier auch völkerrechtswidrig argumentiert werden kann. Mit Blick auf die aufkommende multipolare Weltordnung können sich diese Schwierigkeiten verschärfen, aber auch in ganz andere Bahnen gelenkt werden, als wir es bisher gewohnt sind. (Mitschrift: Sabine Schiffer)

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