No Other Land – Israel-Palästina auf der Berlinale + IMV News, Newsletter März 2024

No Other Land – Israel-Palästina auf der Berlinale + IMV News, Newsletter März 2024

Liebe Interessierte,

Deutschland hat wieder einen Antisemitismus-Skandal und zeigt der Welt, wie begrenzt Diskussionen hier sind. Wohl nicht nur in Bezug auf die Situation in Israel-Palästina, aber um die soll es hier gehen – denn genau diese droht durch die Aufregung um die Berlinale verdeckt zu werden.

Der Film „No Other Land“ eines israelisch-palästinensischen Künstlerkollektivs gewann sowohl den Publikumspreis als auch den für den besten Dokumentarfilm. Bei 3sat gibt es kurze Einblicke in die Filmvorführung auf der Berlinale, die schonmal mit einigen Behauptungen aufräumt. Die Preisrede nutzen dann die zu Freunden gewordenen Kollegen Yuval Abraham und Basel Adraa für einen Appell an die Vertreter der deutschen Regierung im Saal. Ab Min. 40 wird die Jury ausführen, warum sie den Dokumentarfilm ausgewählt hat und ab Min. 46 lässt sich der Auftritt der Filmemacher und ihre mitreißenden Statements ansehen: https://www.3sat.de/film/berlinale/preisverleihung-baeren-gala-2024-100.html. Andere Künstler forderten ein Ende der Kampfhandlungen, etwa ab Min 67. Sabine Schiffer hatte die Dokumentarfilm-Ehrung aus Twitter-X so verstanden: „ide by side: Israeli and Palestinian joint-venture against the oppression of Palestinian lifes in the Westbank – and Gaza. #NoOtherLand best Documentary at #Berlinale #Berlinale2024.“ und „This could be the message of #Berlinale: israeli-palestinian friendship overcomes polarisation & hatred. Peace is possible! „

Die Aufregung um die gefallenen Begriffe im Nachgang der Preisverleihung überblendete jegliche Empörung über die vielen Toten in Gaza. Künstlern wurde erneut pauschal unterstellt, sie hätten den Terroranschlag des 7. Oktober nicht verurteilt und neigten zum Antisemitismus. Die entsprechenden Erklärungen der Künstlervereinigungen (z.B. der Hochschule für bildende Kunst in HH oder eine vom deutschen Regieverband initiierte Solidariätserklärung) werden dabei ignoriert, die vielen Toten in Palästina erst recht. Tatsächlich fanden an dem Gala-Abend die Opfer vom 7.10. keine Erwähnung und auch nicht die Geiselhaft des Künstlerkollegen Daniel Cunio seither in Gaza. Unerwähnt blieben die Angriffe etwa auf den Libanon, der aufkommende Seekrieg im Roten Meer und viele weitere, auch nicht mit dem Nahostkonflikt zusammenhängende. Kurz erwähnt wurde bei der Gala nur noch der Krieg in der Ukraine.

Kultusministerin Claudia Roth ließ zu ihrer „Ehrenrettung“ erklären, dass sie nur für den jüdischen Vertreter auf der Berlinale geklatscht habe: https://twitter.com/BundesKultur/status/1762128051335279021. Dieser erhält inzwischen Morddrohungen und konnte nicht nach Israel zurückkehren, wo seine Familie nach der übergeschwappten Mediendebatte massiv bedroht wurde: https://www.jungewelt.de/artikel/470362.filmemacher-yuval-abraham-morddrohungen-nach-vorw%C3%BCrfen-deutscher-politiker.html. Yuval Abraham erklärt dabei noch, dass die Gefahr für Basel Adraa unter Militärverwaltung und im Umfeld radikaler Siedler in der Westbank noch viel größer sei als für ihn. All das, während sich die Tagesschau-Website erneut v.a. mit dem deutschen Befinden befasst.

Auf ARTE gibt es noch eine weitere Reportage zur Situation in Musafer Yatta, wo auch „The Other Land“ gedreht wurde (der Film begleitet einen langjährigen legalistischen Landraub). Und hier zeigen sich die Auswirkungen des 7.10. auch für die Palästinenser: https://www.arte.tv/de/videos/115493-002-A/re-ein-palaestinensisches-dorf-kaempft-um-seine-zukunft.

Über die verrückten (= verschobenen) Maßstäbe in Deutschland schreibt Rachael Schapiro, die vor fünf Jahren aus den USA nach Berlin kam und froh ist, dass ihre Großmutter, die vor dem Holocaust fliehen konnte, die aktuellen Offenbarungen deutscher Erinnerungskultur nicht mehr miterleben musste: https://www.aljazeera.com/opinions/2024/3/1/german-memory-culture-anti-semitic-zionists-and-palestinian-liberation.

Ein Blick über den Atlantik ermöglicht es, Themen wahrzunehmen, die in deutschen Medien weitestgehend ausgeblendet bleiben. Hier bspw. Democracy Now über das Versagen der New York Times, Falschbehauptungen als Fakten dargestellt zu haben. Und Jon Stewart geht in seiner dritten Daily Show nach der Wiederaufnahme auf seine eigene Art mit dem Thema um: https://www.youtube.com/watch?v=K2zbN3AuHG8 & https://www.youtube.com/watch?v=wznD7uCEcLk.

Das Medienversagen spiegelt das politische Versagen, denn während man hier über Begriffe (wie „Genozid“ und „Apartheit“) streitet, sterben Menschen. Und es braucht Nicaragua, um Deutschland beim ICJ wegen Komplizenschaft bei Kriegsverbrechen anzuklagen https://www.reuters.com/world/nicaragua-files-case-world-court-against-germany-aiding-israel-2024-03-01  – denn die Bundesregierung  ist nicht nur für eine Verzehnfachung der Waffenlieferungen an Israel verantwortlich, sondern auch für die Mittelstreichung für das Hilfswerk UNRWA, dessen Kriminalisierung ebenfalls auf eine strategische PR-Kampagne vonseiten der israelischen Regierung zurück geht; der unsere Medien wohl bereitwillig aufgesessen sind. Wenn antipalästinensischer Rassismus und falsch verstandene „Staatsräson“ als selektive Lehre aus der Geschichte Menschenleben kosten…

In Israel gibt es Widerstand; gegen die Netanyahu-Regierung sowieso, der man die „Befreiung der Geiseln“ als strategisches Wortspiel vorwirft jenseits von ernsthaften Bemühungen.Und es gibt junge Kriegsdienstverweigerer, die für Ihre klare Haltung ins Gefängnis gehen: https://diefreiheitsliebe.de/politik/tal-und-sofi-zwei-18-jaehrige-in-israels-gefaengnissen-weil-sie-nicht-toeten-wollen. Aber auch bekommen neue Initiativen Zulauf, die wie Basel und Yuval für ein neues Israel stehen. Wir haben unsere Liste dazu vervollständigt und nehmen gerne weitere Hinweise auf: https://medienverantwortung.de/informationsportale/alternative-info-nahost. Ein Tropfen auf den heißen Stein in der akuten Krisenlage, in der Kinder verhungern, klar. Aber wohin soll es gehen? Darauf muss der Blick gerichtet bleiben. Mit einem Waffenstillstand alleine wird man sich nicht zufriedengeben können, den benötigt es als ersten Schritt.

IMV News

Am 8. März relaunchen wir unsere Website, damit die vielen dort versteckten Schätze kritischer Medienanalyse bereits auf der Startseite sichtbarer werden. Drückt uns die Daumen, dass alles klappt!

Zur Debatte um die Correctiv-Recherchen durften wir auch etwas beitragen – allerdings ging es dabei eher um die Medienrezeption statt um die Recherche selbst: https://www.deutschlandfunk.de/geheimtreffen-und-deportationsplaene-das-treffen-von-potsdam-in-den-medien-dlf-5b663981-100.html.

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