Medienverantwortung im Nahost-Krieg + IMV News, IMV Newsletter November 2023

Medienverantwortung im Nahost-Krieg + IMV News, IMV Newsletter November 2023

Liebe Interessierte,

für diejenigen, die den Nahost-Konflikt schon länger verfolgen, hat sich auch nach dem schrecklichen Angriff der Hamas auf Südisrael nicht wirklich viel verändert. Es bleibt die Spirale einer Gewalteskalation, die einen weiteren Schritt in Richtung Einfrieren eines völkerrechtlich unhaltbaren Zustands bedeutet oder einen Plan der Austreibung verfolgt.

Statt der faktisch unterminierten Zwei-Staatenlösung soll nun jegliche Kontextualisierung als Antisemitismus verpönt werden, als Whataboutism (wie wir es lange im Russland-Ukraine-Krieg einüben durften), während genau diese Strategie dazu geeignet ist, das Völkerrecht zu relativieren – wie gerade an den hingenommenen oder gar durch Waffenlieferungen unterstützen Massakern an der Bevölkerung in Gaza zu stehen ist. Über die Geschmacklosigkeit, in der UNO-Versammlung mit gelben David-Sternen aufzuwarten, um für mehr Krieg in Gaza und das Aussetzen des humanitären Völkerrechts zu werben, wollen wir uns hier nicht auslassen. Das tun bereits jüdische Organisationen, wie z.B. Yad Vashem.

Die Verwechslung von Israel und Zionismus mit den Juden weltweit, was zu unhaltbaren Ausschreitungen führt, verurteilen wir ebenso, wie jegliche verbale und physische Gewalt. Dass die aufgeheizte Stimmung in Kombination mit digitaler Mobilisierungstechnik – wie kürzlich am Flughafen von Mahatschkala in Dagestan – zur Gefahr für Menschen, Synagogen UND Moscheen gleichermaßen wird, dafür gilt es ein breites Bewusstsein zu schaffen. Es gibt viele Organisationen, die sich der Tendenz zur einseitigen Parteinahme entziehen, und für Leben und Gerechtigkeit für alle eintreten.

Davon wollen wir im Folgenden einige in Erinnerung rufen, sowie einen (perfiden) Masterplan für Gaza vorstellen, der in internationalen Medien schon seit einer Woche diskutiert wird. Wir sind gespannt auf die deutsche Debatte, die immer einige Besonderheiten aufweist – auch, weil die Schlüsse aus der Geschichte oft nicht auf alle Menschen angewandt werden und man hier anscheinend für die Propaganda aus dem Reut-Institut, das auch und gerade dann Antisemitismus unterstellt, wenn es um bzw. gegen die Politik Israels geht, besonders empfänglich ist. Zur Strategie des Reut-Instituts gibt es Ausführliches in unserem Buch zum Thema: Schiffer & Wagner (2021): Antisemitismus und Islamophobie ein Vergleich. Westend-Verlag. … im Kapitel zum Nahostkonflikt sowie der Erweiterung in dieser zweiten Auflage zu den auch aktuell wieder beobachtbaren Antisemitismus-Kampagnen. Wie das Gift der Religionisierung dieses Territorialkonflikts realistische Debatten verunmöglicht, ist gerade greifbar. Wer darauf hereinfällt, arbeitet den Propaganda-Kräften zu, die überall lauern und sich auch im Mediendiskurs breit machen.

Über einen Masterplan für Gaza, der vorsieht die Palästinenser auf den Sinai zu vertreiben, berichten u.a.:

mondoweiss.net

theintercept.com

Wikileaks: https://www.dawn.com/news/1785047/document-from-israeli-ministry-of-intelligence-suggests-forced-displacement-of-gazans-to-egypt-wikileaks

https://www.france24.com/en/middle-east/20231031-israeli-ministry-drafted-concept-proposal-for-transfer-of-gaza-civilians-to-egypt

https://apnews.com/article/israel-gaza-population-transfer-hamas-egypt-palestinians-refugees-5f99378c0af6aca183a90c631fa4da5a

https://timesofindia.indiatimes.com/world/middle-east/an-israeli-ministry-in-a-concept-paper-proposes-transferring-gaza-civilians-to-egypts-sinai/articleshow/104839652.cms

Während die USA derlei Pläne ablehnt (vgl. FT), scheint die EU inzwischen schweigend zuzustimmen: https://lostineu.eu/israel-plant-vertreibung-und-die-eu-soll-helfen. Dieser Plan wäre eine ethnische Säuberung, wie sie im Lehrbuch steht, und erklärt zudem, warum im Windschatten des Kriegs in Gaza das Vertreiben und Töten im Westjordanland unbehelligt weiter gehen kann. Als Vierte Gewalt würde es unseren Medien gut zu Gesicht stehen, etwas hinter die Kulissen zu schauen und sich nicht zum Verlautbarungsorgan der IDF zu degradieren. 

Wer unsere Website kennt und das Projekt Alternative Info Nahost AIN, weiß, dass wir immer die Medien dafür kritisierten, vor allem dann zu berichten, wenn es knallt – und damit die destruktiven Kräfte über die Medien-Agenda bestimmen zu lassen. Andere Fakten fallen dadurch unter den Tisch, wie etwa die israelisch-palästinensischen Kooperationsprojekte, die inzwischen mehr geworden sind, als sie unsere Liste abbildet: https://medienverantwortung.de/informationsportale/alternative-info-nahost. Wer sich hier mit einer Ergänzung einbringen möchte, herzlich willkommen!

Dieser Ansatz scheint im Moment der schrecklichen Massakerbilder, die wiederum für mehr Massaker werben, verwegen – aber wir wissen, dass nur Kooperation und Gerechtigkeit überdauern werden. Insofern ist den Menschen in Israel und Palästina zu wünschen, dass sie ihre extremistischen Führer loswerden.

Ganz aktuell fällt in Deutschland die Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost auf: www.juedische-stimme.de. In den USA blockiert die Organisation www.jewishvoiceforpeace.org u.a. den Central Bahnhof in New York: www.democracynow.org/2023/10/30/grand_central_protest. Wer das Versöhnungspotential kooperativer, humanistischer Sichtweisen im Nahostkonflikt – Jeff Halper möge uns verzeihen, dass wir den Kampf um das Land so nennen – noch nicht abschätzen kann, denen seien die Kommentare unter dem sehenswerten Video von Dr. Gabor Maté empfohlen. Und das starke Signal, dass von Überlebenden des Massakers am 7.10. ausgeht, die – obwohl sie Angehörige zu beklagen haben – gegen die Instrumentalisierung ihres Schicksals Stellung nehmen. In Israel kursieren mehrere Videos. Democracy Now interviewt den Überlebenden Noy Katzman.

Im Krieg steht man immer auf der falschen Seite, die einzig richtige ist gegen jeden Krieg #noWar. Wie es mit dem neu gesäten Hass in der MENA-Region und weltweit weiter geht, wird sich zeigen, denn die geteilten Medienwelten und jeweils andere eingebrannten Bilder werden ihre langfristige Wirkung zeitigen. Die Kräfteverhältnisse ändern sich aber. In einem taz-Beitrag mit dem Titel „Der Westen verliert den Süden“ heißt es noch unter der Prämisse, dass der (globale) Süden irgendwie zum Westen gehöre, in einer Zwischenüberschrift: „Die neue multipolare Welt kennt keine Werte“. Vielleicht ist das derselbe falsche Kurzschluss, wie er nach den Anschlägen von 911 schon gezogen wurde: Denn es ist bis heute ungeklärt, ob die Terroristen wirklich die freiheitlichen Werte ablehnen oder aber ihr Ausgeschlossen-Sein davon.

IMV News

Für diejenigen, die nicht bei unserem Podium zur #Verdachtsberichterstattung dabei sein konnten, hier geht es zur Aufzeichnung: https://www.youtube.com/watch?v=xbGGc2iDV0Y.

Es lohnt sich. Und unser Dank geht sowohl an den Förderkreis des IMV, der diese Veranstaltung ermöglicht hat, dem Terzo Mondo, sowie auch an unsere Podiumsgäste Prof. Christian Schicha FAU, Jo Goll vom rbb, Fachanwältin Dr. Stefanie Schork und Dr. Jost Müller-Neuhof vom Berliner Tagesspiegel.

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