Zensur und Desinformation, IMV Sonder-Newsletter April 2022

Zensur und Desinformation, IMV Sonder-Newsletter April 2022

Ein Beitrag von Eric Bonse, Brüssel, 11. April 2022
 

„Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen Maßnahmen“: Mit diesen Worten begründete die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Vera Jourova, Anfang März das EU-weite Verbot für die russischen Staatsmedien RT und Sputnik. „Wir alle stehen für die Redefreiheit, aber sie darf nicht zur Verbreitung von Kriegspropaganda missbraucht werden. Der Kreml hat Informationen zur Waffe gemacht.“

https://taz.de/EU-Verbot-russischer-Staatssender/!5835571&s=bonse/

Es war ein Tabubruch, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Zum einen sind Meinungs- und Pressefreiheit ein integraler Bestandteil der EU-Grundrechtecharta. „Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungs­freiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“, heißt es in Artikel 11. Er wurde mißachtet.

https://www.europarl.europa.eu/germany/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf

Zum anderen ist die EU-Kommission für die Zulassung von Medien gar nicht zuständig. Dies ist Sache der 27 EU-Mitgliedsländer. In Deutschland liegt die Kompetenz bei den Landesmedienanstalten. Die Brüsseler Behörde hat ihre Kompetenzen eindeutig überschritten und zwei (aus guten Gründen) getrennte Bereiche – die Medienpolitik und die Außenpolitik – unzulässig miteinander vermischt. 

Dabei machte sie sich nicht einmal die Mühe, die Notwendigkeit der Maßnahme zu belegen oder zu erklären. Man werde „nicht zulassen, dass Apologeten des Kremls ihre toxischen Lügen zur Rechtfertigung von Putins Krieg verbreiten oder Zwist in unserer Union säen“, erklärte die deutsche Behördenchefin Ursula von der Leyen – das mußte als Begründung reichen.

Großen Widerstand gab es nicht, sieht man von einzelnen Europaabgeordneten und NGOs wie EDRI ab, die die mangelnde Mitwirkung des Parlaments bemängeln. 

Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Zum einen stehen „Fake News“ und „Desinformation“ aus Russland bereits seit Jahren im Fokus der EU. Wegen des Ukraine-Konflikts wurde im Auswärtigen Dienst EAD schon 2015 eine Taskforce für „Strategische Kommunikation“ eingerichtet. 

—-> https://medien-meinungen.de/2021/10/wie-eu-und-nato-gegen-desinformation-vorgehen/

Der Boden für regulative Eingriffe war also bereitet, und das schon seit Jahren. Zum anderen hat die EU ihr Verbot nicht als Maßnahme gegen bestimmte Informationen, Meinungen oder Journalisten präsentiert, sondern als „restriktive Maßnahme“ (Sanktion) gegen russische „Manipulation“. Sie kann sich so als Hüterin einer freien Öffentlichkeit präsentieren und den Vorwurf der Zensur abwehren.

Unbequeme Meinungen müsse man verkraften, auch wenn sie einem nicht passen, heißt es im EAD in Brüssel. Die rote Linie verlaufe aber da, wo missliebige Informationen oder Meinungen „inauthentisch verstärkt“ würden. „Deshalb haben wir RT und Sputnik sanktioniert – nicht weil wir Kritik nicht verkraften oder Kritiker mundtot machen wollen, sondern weil sie manipulieren“.

Manipulation laufe auf drei Ebenen, sagt ein EAD-Experte, der namentlich nicht genannt werden möchte: Über Inhalte, Identitäten und Reichweite. Zuerst würden falsche Inhalte („Fake News“) in die Welt gesetzt. Dann würden sie unter falscher Identität über Fake-Portale wie „News Front“ verbreitet. Schließlich würden sie auch noch durch soziale Medien und andere Tricks massiv verstärkt. 

Damit erreiche die Manipulation eine neue Qualität, die weit über einfache Falschmeldungen und klassische Desinformation hinausgehe, so der EAD-Insider. Die EU stehe in einem „Kampf der Narrative“, erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell beim jüngsten Treffen der Außenminister am 11. April in Luxemburg. Der Info-Krieg mit Russland sei noch längst nicht entschieden. 

In Brüssel denkt man daher bereits über die nächsten Eingriffe in die Meinungs- und Medienfreiheit nach. Sie kommen nicht ganz so abrupt daher wie das Verbot von RT und Sputnik, sind aber nicht minder wirksam. So hat Borrell dafür gesorgt, dass Desinformation und Manipulation im neuen „Strategischen Kompass“, also der außenpolitischen Doktrin der EU, verankert wurden.

Die EU wird „ein Instrumentarium gegen ausländische Informationsmanipulation und Einmischung entwickeln“, heißt es darin. 

www.consilium.europa.eu

Damit kann Brüssel künftig nicht nur gegen unerwünschte Nachrichten und Meinungen aus Russland, sondern auch aus China und anderen als feindlich wahrgenommenen Ländern vorgehen. Im Ukraine-Krieg unterstütze China bereits jetzt „russische Narrative“, heißt es in Brüssel. Allerdings geschehe dies noch subtiler als in Russland. Gleichwohl müsse man wachsam sein und aktiv gegensteuern.

Als Vorbild gilt Frankreich, wo der Kampf gegen Desinformation in der nationalen Sicherheitsstrategie verankert wurde und eine eigene Agentur an der „Abwehr“ arbeitet. Das Europaparlament will dem nacheifern und ein „europäisches Zentrum zur Informationsintegrität“ gründen. Außerdem soll die „Strategische Kommunikation“ der EU ausgebaut werden, fordert ein Sonderausschuss.

www.politico.eu

Derweil baut die EU-Kommission ihren Zugriff auf das Internet und große Plattformen wie Facebook und Twitter aus. Der „Digital Service Act“ und ein „Code of Practice“ sollen die Internet-Giganten dazu bringen, missliebige Inhalte zu unterdrücken. Auch die „Monetarisierung“ von Angeboten, „die den Krieg ausnutzen, leugnen oder billigen“ (etwa über Google Adsense) soll unterbunden werden.

https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/news/disinformation-online-platforms-continue-code-practice-revision-light-war-ukraine-and-report-first

Und das ist noch längst nicht alles: Die EU-Kommission will nach einem Bericht von „Netzpolitik“ auch die Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte zensieren. Wer Inhalte von RT, Sputnik oder anderen missliebigen Medien zitiert, soll keine Verbreitung mehr auf Google & Co. finden. Sogar eine Diskussion über RT-Propaganda könnte auf diese Weise verboten werden, mutmaßt „Netzpolitik“.

„Wir wollen möglichst wenig Eingriffe“, heißt es beim EAD. „Wir sind keine Zensurbehörde und wollen auch keine sein.“ Doch die Praxis sieht anders aus. Unter dem Eindruck des Ukrainekriegs schränkt die EU die Meinungsfreiheit immer mehr ein. Mit schwammigen Begriffen wie „Manipulation“ und „Einmischung“ wird das Feld des Unerwünschten und Unsagbaren beständig ausgeweitet.

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