Liebe Interessierte,
die meisten Shitstorms bleiben auf eine kleine Menge Menschen beschränkt, die davon mitkriegen. Die Beteiligten meinen freilich, die Welt drehe sich ausschließlich darum und alle hätten die evtl. eigene Peinlichkeit mitbekommen. Das Problem ist nicht ungefährlich und grenzt nicht selten an das Thema Cybermobbing mit damit verbundenen Selbstmorden, wie beispielslweise das traurige Schicksal der Schülerin Amanda Todd zeigt. Aber auch so eine Online-Community kann einem Angst machen, wenn etwa der gesamte Followerstamm einer Internetikone sich auf ein Opfer – oder einen Täter? – stürzt. Tatsächlich ist eine Meinungsverschiedenheit in den aSozialen Medien oft extrem unsozial, beleidigend und in seiner Masse vielleicht sogar bedrohlich – nicht nur wegen so mancher tatsächlich ausgesprochen Drohungen, sondern auch der Möglichkeit mal vor dem Haus der fokussierten Hassfigur auftauchen zu können. Insgesamt scheint sich im Netz zunehmend Häme breit zu machen, was man nicht nur am Tonfall der Schaden-Freude über den vielleicht Fehler eines anderen, sondern auch am zelebrierten Nachtreten erkennen kann.
So geschehen bei der Reaktion auf den rassistischen Facebook-Eintrag von Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der sich über die ihm zu multi-kulturelle Werbekampagne der Bahn echauffierte. Seine einleitenden Worte „Der Shitstorm wird nicht vermeidbar sein … Welche Gesellschaft soll das abbilden?“ hat er zwar auch eine phantasievolle Welle von teils lustigen Analogiebildungen nach sich gezogen – etwa, wenn ein Twitterer mit dem frauenfreien Foto aus dem Innenministerium fragt „Der Shitstorm … Welche Gesellschaft soll das abbilden?“, aber der Shitstorm wollte partout nicht abreißen, nachdem selbst die Bahn gegen Palmers Ausfälle dezidiert und klärend Stellung genommen hatte und viele andere mehr. Hier ein kleiner sachliche gehaltener Einblick für Nicht-„social“-media-Affine: https://www.tagesspiegel.de/politik/boris-palmer-kritisiert-deutsche-bahn-der-shitstorm-wird-nicht-vermeidbar-sein/24245510.html.
Den Streit zwischen Anja Rützel und Enissa Amani beschreibt Mely Kiyak ganz übersichtlich, wobei wir uns hier schon der Parteinahme verdächtig machen könnten – denn die Medienwelt teilte sich angesichts der Blödelnummer der Comedienne Amani und der Rezensentin einer Preisverleihung und somit Journalistin Rützel in online-Follower-Power und eben Journalist*nnen. https://www.zeit.de/kultur/2019-04/enissa-amani-influencerin-anja-ruetzel-kritik-deutschstunde/komplettansicht und DAS Corpus Delicti von Rützel https://www.spiegel.de/kultur/tv/about-you-awards-prosieben-show-in-der-tv-kritik-von-anja-ruetzel-a-1263571.html Auch die Teilung der Medienwelt in einzelne Kanäle ist bemerkenswert, so dass sich auf Instagram ein ganz anderen Bild ergeben mag als auf Twitter und in Print. Bisher reißt die Bekämfung des jeweiligen anderen Teams noch nicht ab.
Die beiden Beispiele sind nur relativ aktuelle Momentaufnahmen eines Phänomens, das beschäftigungstherapeutschen Charakter hat für die, die involviert sind. Die Kampagne #nohatespeech könnte demnach ständig ihr Tätigkeitsfeld erweitern. Bekannt ist, dass vor allem politisch oder publizistisch aktive Frauen sich aus dem Netz mobben lassen. https://www.zeit.de/news/2018-11/15/lena-meyer-landrut-und-der-hass-im-netz-gegen-frauen-181115-99-820882
Mitten im Shitstorm und Gegenshitstorm stellt sich die Frage: Wann ist es genug? Und, was kommt wieder? Denn die auf Traffic ausgerichteten Algorithmen belohnen zumeist Entgleisungen, weniger die folgende Aufklärung. Letztere Erkenntnis bezieht sich jedoch nicht nur auf Shitstorms, sondern auch auf falsche Berichterstattung – so findet man beispielsweise die Aufklärung in einer einfachen Google-Suche zum Ukraine-Konflikt nicht, sondern vor allem die Erstberichterstattung, auch wenn sie inzwischen widerlegt wurde.
mehr zum Thema Algorithmus:
Hofstetter, Yvonne (2016): Sie wissen alles. Wie Big Data in unser Leben eindringt und warum wir um unsere Freiheit kämpfen müssen. München: Bertelsmann Verlag.
O’Neil, Cathy (2016): Weapons of Math Destruction. How Big Data increases Inequality and threatens Democrac. New York: Crown Publishing Group.
+ watch Danah Boyd https://www.youtube.com/watch?v=NTl0yyPqf3E
IMV News
Die neu konzipierten Seminare zum Erwerb eines Medienführerscheins werden in einem extra Unterpunkt angekündigt. Hier sei noch die Ostermarschrede von Sabine Schiffer verlinkt: https://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2019/04/20190420_IMV-Schiffer_Ostermarschrede.pdf.
In der 20. Kalenderwoche findet wieder unsere jährliche Woche der Transparenz statt. Bitte versehen Sie Ihre Beiträge, die in einem kurzen Vorspann ihre Entstehungsgeschichte erläutern, mit dem beigefügten Logo. Mehr zur Idee der Transparenzwoche finden Sie hier: https://www.medienverantwortung.de/das-institut/projektbeispiele/#wodetrans.
IMV Medienbildung
Das Institut für Medienverantwortung bietet für Schulen Bildungsmodule zum Thema Medienkompetenz an. Das Konzept zeichnet sich dadurch aus, dass es sich an der Wahrnehmungsentwicklung der Kinder orientiert (und nicht an den Vermarktungsinteressen der IT-Branche/mehr dazu www.generationmedien.de). Die Module sind altersgerecht konzipiert und bieten in Ihrer Gänze ein umfassendes Medienwissen für einen souveränen Umgang mit alten und neuen Medien.
Zu den Inhalten des Medienführerschein gehören folgende Bildungseinheiten in Stichworten:
Algorithmen,Cybermobbing,Cybergrooming, Datenschutz, Extremismusprävention, Games und Abzocke, Informationsfindung -prüfung und -bewertung, Medienberufe und journalstische Darstellungsformen, Medienentwicklung, Mediengewalt, Medienrecht, Mediennutzung und Mediensucht, mobile Kommunikation und Sicherheit, Print vom Buch bis zur Zeitung, Radio, Fernsehen, Social Media, Selbstorganisation,Online-Archive und Datensicherung, Urheberrecht, Werbung erkennen, also auch Youtube- und Insta-Stars.
Einen Bericht über eines der bereits durchgeführten Seminare – hier unter Einbindung der Lehrkräfte – finden Sie hier: https://wilhelmstadtschulen.de/blog/projektwoche-digitale-medien-kompetenzen-fuer-gegenwart-und-zukunft. Zum Erwerb des Medienführerscheins wird eine ganze Schulwoche benötigt.
Bei Interesse melden Sie sich im Büro bei Louisa Müller info@medienverantwortung.de.