Feministische Außenpolitik + IMV Ausstellung, IMV Newsletter Juni 2022

Feministische Außenpolitik + IMV Ausstellung, IMV Newsletter Juni 2022

Liebe Interessierte, 

heute beginnen wir mit zwei internen Angelegenheiten, also IMV News:
Zunächst der Hinweis, dass unsere virtuelle Ausstellung „A Brexit Diary“ nur noch bis zum 24.06. zu sehen ist – also last Chance! https://mahalli-exhibitions.web.app (Kuratorin: Dr. Xenia Gleißner). 
Wir suchen einen neuen Mailing-Dienst. SendInBlue ist nicht nur kompliziert, sondern auch eine Datenkrake. Tatsächlich ist ein Dienst notwendig, erstens damit die Mails nicht sämtlich in Spamordnern landen und zweitens, damit wir die DSGVO-konforme Double-OptIn Funktion bei der Anmeldung und ein autonomes Abmelden ermöglichen. Derzeit prüfen wir verschiedene Anbieter und werden SendInBlue noch ein bis zwei Monate nutzen müssen. Tipps und Tricks und Empfehlungen nehmen wir gerne entgegen. Welcome #Followerpower!

Gibt es eine feministische Außenpolitik?
Nein. 
Also grundsätzlich, ja. 
Es könnte sie geben. Aber derzeit ist keine in Sicht. 
Die „feministische Außenpolitik“ ist ein Spin. Eine Definition gibt es demnach auch nicht. Mit dehnbaren Begriffen lässt sich in der strategischen Kommunikation besser arbeiten. Ein Definitionsversuch folgt am Ende dieser Auseinandersetzung mit einem prominenten Begriff der sogenannten „Zeitenwende“-Rhetorik, die wie wir in vorherigen Newslettern schon feststellten. 
Wobei diese Bezeichnung gar nicht so neu ist.
Im Kontext des Angriffs auf die Ukraine wurden so einige alte Konzepte aus den verstaubten Schubladen gezogen. Nicht nur die Rüstungslobby schlug zu, sondern auch die Grünen. Darauf deutet dieses detailliert ausgearbeitete Konzept der Boell-Stiftung  hin, welches eine Grundlage für den Entschließungsantrag 19/7920 im Bundestag aus dem Jahre 2019 darstellt: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw44-de-feministische-aussenpolitik-798150. 2020 gescheitert, macht der progressiv klingende Spin „feministische Außenpolitik“ nach einer dümmlichen Vorlage durch Oppositionsführer Friedrich Merz und einer emotionalen Ansprache von Außenministerin Annalena Baerbock nun Furore: https://www.youtube.com/watch?v=ud2KoLbHl5g. Wie schon im Afghanistan-Krieg, müssen auch hier wieder Frauen für kriegspropagandistische Zwecke herhalten, die Mütter von Screbenica. Das funktioniert immer dann, wenn man die Entwicklung hin zu schrecklichen Kriegsverbrechen ausblendet. 

Im Aufgreifen des Schlagwortes durch das Auswärtige Amt  verrät sich bereits die Fehlleitung seiner Bedeutung: In einem Framing des Mittuns wird die „Teilhabe“ von Frauen als erwünscht erklärt. Wenig Selbstbestimmung und Gestaltung von Politik durch Frauen war schon immer. Mit Fug und Recht darf hier von Pinkwashing-Versuchen gesprochen werden. 

Was hingegen das eigentliche Potential und Idee hinter dem Konzept steckt, arbeitet Birgit Raddatz für die Tagesschau  heraus – hier einige zentrale Zitate: 

„Toxische Männlichkeit und patriarchale Strukturen sind die Schlüsselwörter, um zu verstehen, worum es bei feministischer Außenpolitik geht. Eine der Vordenkerinnen in Deutschland auf dem Gebiet ist Kristina Lunz – Diplomatin, Beraterin und Mitgründerin des Centre for Feminist Foreign Policy in Berlin. Aus ihrem Hause stammt bereits eine Studie, die für das Europäische Parlament untersuchte, wie eine feministische Außenpolitik in EU-Entscheidungen berücksichtigt werden kann. 

Einfach nur mehr Frauen in höhere sicherheitspolitisch relevante Positionen zu befördern delegitimiere das Konzept, sagt Lunz und führt aus: „Feministische Außenpolitik stellt die herkömmlichen Paradigmen von Außen- und Sicherheitspolitik infrage. Der Sicherheitsbegriff ist beschränkt, fußt auf militärischer Sicherheit, nationalstaatlicher Sicherheit. Feministinnen in der Außenpolitik sagen: Das, was Grenzen sicher hält, ist bei weitem nicht das, was Menschen sicher hält.““

Zurecht erinnert Birgit Raddatz an die erste Frauenfriedenskonferenz vom 29./30. April 1915 in Den Haag (Hat es zum Jahrestag Gedenkveranstaltungen gegeben?): 

„Die Anfänge der feministischen Außenpolitik reichen zurück bis in das frühe 20. Jahrhundert. 1915 kamen über 1000 Frauen aus einem Duzend Länder im niederländischen Den Haag zum ersten Internationalen Frauen-Friedenskongress zusammen. Es ist die Zeit des Wettrüstens im Ersten Weltkrieg: Frauen haben keinen Zugang zu Machtstrukturen der Außenpolitik – dürfen in Deutschland noch nicht einmal wählen. Trotzdem oder gerade deswegen erheben sie ihre Stimmen gegen die Kriegsrhetorik und stellen eine lange Liste von Forderungen auf: Abrüstung, Mediation als Konfliktlösungsmittel, eine Demokratisierung von Außenpolitik sowie ein Ende der privaten Rüstungsindustrien.“

Schon damals wurde die Friedensbewegung, erst recht die weibliche, konsequent ignoriert. Es lohnt die Lektüre des Beitrags von Raddatz und die kritischen Einschätzungen von Kristina Lunz bis zum Schluss. Wie es immer wieder gelingt, das langjährige Engagement der Friedensbewegung und deren Korrekturvorschläge einer toxischen Politik zu ignorieren und sie später für das Scheitern der eigenen politischen Entscheidungen verantwortlich zu machen, indem man diese als Naturgewalt darstellt, die angeblich ein Beweis für Fehleinschätzung der langfristig Denkenden sei, können wir gerade wieder beobachten. Redlich ist das nicht. Aber solange Medien es nicht aufdecken, funktioniert es immer wieder. Dass Frauenthemen auch zur Kriegspropaganda genutzt werden können, hat nicht zuletzt der Afghanistan-Krieg vor Augen geführt:

https://archive.org/details/CiaRedCellSpecialMemorandumAfghanistan

https://www.heise.de/tp/features/Wie-deutsche-Medien-die-Bundesregierung-am-Hindukusch-verteidigten-6565832.html

Über die langjährigen Kampagnen, die „Gleichstellung“ von Frauen (sic!) und den feministischen Fortschritt als Dienst an der Waffe zu verkaufen, werden wir uns hier nicht mehr auslassen. Aber einige Beiträge zur Debatte bis heute seien hier verlinkt:

https://www.emma.de/artikel/frauen-militaer-die-maennlichkeit-des-krieges-263585

https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2009-10/textauszug-aerztin-bundeswehr

https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-open-ex-und-pop/sag-mir-wo-die-frauen-sind-krieg-wieder-maennersache-100.html

Aus lesenswerter Beilage zur Tagezeitung Junge Welt mindestens: 

https://www.jungewelt.de/beilage/art/421165

https://www.jungewelt.de/beilage/art/421166

Eine echte feministische Politik hätte Potential und sie wäre dringend geboten, denn dabei müsste der Erhalt der Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zentral sein und einen empathischen und nachhaltigen Fürsorgeblick in die Politik einbeziehen – nicht nur in die Außenpolitik. Dazu hat die Welternährungsorganisation schon lange festgestellt, dass Frauenförderung gleichzeitig ein erfolgreicher Kampf gegen Hunger ist, im Gegensatz zu anderen Maßnahmen von Entwicklungshilfe – so in meiner Rede zu 100 Jahre Frauentag ermittelt und auch von Maria Mies, Vandana Shiva und Nawal el Saadawi verkörpert: https://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/20110313_IMV-Schiffer_100JahreFrauentag-eineBilanz.pdf

Die Geschichte zeigt, wie erfolgreiche Staatspolitik – etwa die Erschaffung Preußens – eben nicht auf die in der Geschichtsschreibung dominanten Kriege, sondern auf die Briefe- und Heiratsdiplomatie der Fürstinnen zurück ging: https://www.spsg.de/aktuelles/ausstellung/frauensache. So titelt der Berliner Tagesspiegel in seiner Ausstellungrezension richtig „Das klügere Geschlecht“ , um im folgenden Teasertext die Leistung der Fürstinnen gleich wieder von der Politik weg zu orientieren. Nun, hierfür gibt es ausreichend Dokumente. Die Leistungen von Arbeiterinnen sind oft weniger belegt. Auch wenn die Künstlerin Käthe Kollwitz diese als Protest an den HERRschenden Verhältnissen in Szene zu setzen wusste und sich ebenfalls Ausstellungen, wie die zum Erkämpfen des Frauenwahlrechts in Frankfurt/Main, mit der friedenspolitischen Leistung von Frauen ganz unterschiedlicher Herkunft und Ansichten beschäftigte: Damenwahl   

So nähern wir uns einer Definition für „feministische Politik“ und schrecken doch davor zurück – denn sie würde auch eine Festschreibung von Klischees bedeuten. Dass wir aber eine andere Politik brauchen, als die toxische bisher, ist angesichts der Tatsache, dass wir Welt derzeit drei Mal täglich verbrauchen, klar. 

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