Katar und die Medien, IMV Newsletter Dezember 2022 + IMV News

Liebe Interessierte,
wir müssen nicht extra darauf aufmerksam  machen, alle, die diesen Newsletter lesen, dürften es bemerkt haben: Die  derzeitige Fußball-WM dreht sich vergleichsweise wenig um Fußball,  dafür aber viel um den Austragungsort Katar.
 Korruptionsvorwürfe, Menschenrechtsverletzungen und ein genereller  Mangel an Freiheitsrechten stehen dabei im Vordergrund. Das alles mag  stimmen. Aber stimmt die Debatte? Wo liegt ihr Fokus und wovon lenkt sie  ab?
Sicher ist: Fragen zu Katar werden aus westlichem Blickwinkel  gestellt - und meist schnell beantwortet ohne je die Perspektive zu  wechseln. Dabei hat der Perspektivwechsel einiges zu bieten: Hier ein  Text von einer jungen katarischen Autorin - geschrieben schon vor der  WM, aber immer noch lesenswert: https://dohanews.co/dear-europe-its-time-you-practice-the-tolerance-you-preach. 
 Gestern erst wurde entschieden: Ab 2026 soll Deutschland  verflüssigtes Erdgas aus Katar bekommen. Erdgas nehmen wird also, aber  eine WM geht zu weit? Und wenn wir ausführlich auf die  Arbeitsbedingungen von Gastarbeitern schauen, warum nicht auch auf die  menschenrechtlichen Konsequenzen katarischer Außenpolitik? Sofern diese  in Einklang mit NATO-Zielen steht, scheint sie kein Thema zu sein.
Nun  kann man verschiedene Blickwinkel auf den Krieg in Syrien haben und  wird dementsprechend auch die deutsche Berichterstattung dazu  unterschiedlich beurteilen. Dass aber die Frage nach Katars Außenpolitik  und seiner Rolle in Syrien kaum thematisiert wird, während andere  Themen extrem viel Aufmerksamkeit bekommen, wirft dennoch Fragen auf:
https://www.hintergrund.de/politik/welt/wm-gastgeber-katar-und-die-grosse-medienheuchelei. 
 Eine, die Katar aus jahrelanger eigener Erfahrung kennt, ist die Journalistin Stephanie Doetzer,  die dort für Al Jazeera und als freie Autorin für DLF, die Berliner  Zeitung und die FAS gearbeitet hat. Dass es möglich ist, über Katar zu  sprechen, ohne zu beschönigen, aber auch ohne anzuklagen, zeigt ihr  folgendes Interview aus den Nürnberger Nachrichten vom 17.11.:
 Viele in Deutschland wollen die WM boykottieren – indem sie keine Spiele im Fernsehen schauen. Was halten Sie davon?
 Dass viele Fussballfans keine Lust auf die WM haben, kann ich  verstehen. Auch, dass man sich über die FIFA empört und sagt: Jetzt  reicht es uns mit den korrupten Fussballfunktionären! Was den  Boykott-Aufruf betrifft, frage ich mich allerdings: Wer hat denn etwas  davon? Die Bauarbeiter in Katar jedenfalls nicht.
 Kann man nicht sagen: Wer schaut, macht mit?
 Ich bin in Katar vielen Gastarbeitern aus Indien, Nepal und den  Philippinen begegnet. Die würden nicht verstehen, warum ihre Arbeit  nicht gewürdigt wird. Jetzt haben sie mit ihren Händen und ihrer  Schufterei diese Stadien gebaut - also soll die Welt sie auch sehen. Die  Logik ist eine völlig andere als der europäische Blick von außen.
 Ist die Situation der Gastarbeiter nicht so schlimm wie oft dargestellt?
 Doch, die ist teilweise wirklich katastrophal. Wenn ich mit  Gastarbeitern gesprochen habe, war ich oft schockiert, wie verschreckt,  wie müde, wie hungrig sie waren. Und trotzdem kommt von fast allen der  Satz: "Ich bin froh, dass ich diese Arbeit habe. Zuhause hätte ich gar  nichts." Ich habe in Katar vieles als himmelschreiend ungerecht erlebt.  Aber ich bin mir sehr bewusst: Katar ist ein Abbild der Welt. Es ist ein  Mikrokosmos, in dem die Ungerechtigkeiten und Widersprüche der Welt  sichtbarer sind als in Deutschland. Wenn wir in Europa billige  Lebensmittel oder Kleidung aus Bangladesch kaufen, hängen auch wir in  den Mechanismen der Ausbeutung mit drin. Wir sehen es nur nicht.
 Auf die Frage nach dem katarischen Blick auf die WM erfährt man:
 Die meisten sind stolz, dass erstmals ein arabisches Land ein so  großes Sportereignis austragen darf. Aber es gibt auch viel Skepsis  gegenüber den gigantischen Veränderungen im Land. Viele sagen: "Ihr  Europäer könnt euch gar nicht vorstellen, was das bedeutet, in so kurzer  Zeit einen solchen Wandel mitzumachen." Katar will es allen recht  machen und bekommt gleichzeitig Kritik von allen Seiten. In islamischen  Ländern heißt es: Die machen alles, was westliche Länder fordern und  verkaufen ihre Seele! In Europa dagegen heißt es: Was für ein  stockkonservatives Land! Ich kann verstehen, dass die Kataris sich  sagen: Wir machen jetzt einfach unser Ding und ignorieren das ganze  Gerede.
 Das vollständige Interview finden Sie hier: https://www.nn.de/politik/viele-kataris-sagen-wir-machen-einfach-unser-ding-1.12729488.
  
 Wer mehr aus katarischen Innenperspektiven erfahren möchte, ist herzlich eingeladen ins Terzo Mondo zu Berlin am 7.12. um 20:00.
 Dort spricht Stephanie Doetzer über:
Katar und die Medien
Was ist Zerrbild? Was ist Realität?
 Wie aber stellt sich Katar für diejenigen dar, die dort leben? Für  katarische Frauen, westliche Expats, asiatische Gastarbeiter oder  Hausmädchen? Sie alle machen Katar zu dem, was es heute ist, erleben  aber sehr unterschiedliche Seiten des gleichen Landes. Welche  Geschichten aus Katar bleiben trotz der großen Medienaufmerksamkeit nach  wie vor unerzählt? Und wie werden die derzeitigen europäischen Debatten  dort wahrgenommen? Zum Livestram geht es hier: https://www.terzomondo.de/event/imv-katar-in-den-medien. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten! (s.u.)
 Zur Referentin
Stephanie Doetzer arbeitete als  Journalistin zwischen 2008 und 2011 in Katar und steht weiterhin in  engem Kontakt zu Kollegen und Freunden in Doha. In Doha war sie  Journalistin bei Al Jazeera und freie Autorin für deutsche Medien. Sie  war CNN Journalist of the Year 2015 und nominiert für den deutschen  Reporterpreis - und ist dann aus dem Journalismus ausgestiegen.
  
 IMV News
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 Und die Arbeit dieses Jahr ist noch nicht getan...